Graziano kam vor einem halben Jahr mit Vito nach Deutschland.
Er hat noch immer große Angst vor uns, lässt sich nicht anfassen und flüchtet in Panik. Ihm dabei im Wege zu stehen ist nicht ratsam, denn er fegt gnadenlos alles zur Seite, wie wir am eigenen Leibe schmerzlich erfahren mussten. Am besten man beachtet ihn nicht, sieht ihn nicht an oder spricht mit ihm, denn selbst Worte bringen ihn dazu, das Weite zu suchen. Das erste halbe Jahr verbrachte er fast nur im Hundekorb, seiner Zufluchtsstätte. Hier fühlt er sich einigermaßen sicher. Sein Futter nahm er nur, wenn wir es in seinen Korb streuten und dann nur unter größter Vorsicht, immer ängstlich zu uns blickend. Soweit wir wissen, kam er schon als Welpe ins Lager und so wie er sich verhält, hatte er wohl wenig Kontakt mit Menschen.
Mit unseren anderen Hunden gab es noch nie Probleme. Es war von Anfang an ein harmonisches Zusammenleben. Ist er mit ihnen allein, verändert er sich: Er läuft durch das Haus, legt sich in die diversen Körbe, ist neugierig und inspiziert die Wohnung. Im Garten wälzt er sich wohlig, strampelt mit den Pfoten in der Luft herum und bellt auf dem Rücken liegend. Seit neuestem tobt er mit Leano durch den Garten. Er ist dabei völlig entspannt und macht ein glückliches Gesicht.
Als er zu uns kam, hatte er starkes Übergewicht. Er wog ca. 40 Kilogramm! Dabei ist er nicht verfressen und ließe sich sein Futter von den anderen Hunden wegnehmen. Wenn wir nicht darauf achten würden, dass alle aus ihren eigenen Näpfen fressen, ginge er leer aus. Mittlerweile bringt er nur noch 30 Kilo auf die Waage. Das Normalgewicht liegt bei ca. 25 Kilo. Es ist uns bis heute ein Rätsel, wie er so fett werden konnte.
Dass er sich nicht gerne anfassen lässt, stellt uns vor ein Problem – denn er muss ja auch mal gebürstet werden. An der Haustür ist eine Nische. Da läuft er hin, wenn er aus dem Garten kommt. Hier können wir ihn berühren und die Pfoten reinigen. Hier üben wir auch das Anlegen von Halsband und Geschirr. An Spaziergänge ist vorerst nicht zu denken. Zu groß ist die Gefahr, dass er sich in seiner Panik losreißt und das Weite sucht. Wenn er zum Tierarzt muss, wird er von uns mit drei Leinen gesichert.
Aber es gibt auch Fortschritte. Seit einer Woche verlässt Graziano seinen Zufluchtsort und legt sich an einen anderen Platz. Er nimmt jetzt Futter aus der Hand, was zuvor nicht möglich war. Selbst die feinsten Leckereien verschmähte er.
Ruft man ihn, kommt er uns einige Schritte entgegen, läuft aber dann wieder davon.
Wir wussten, dass Graziano ein Angsthund ist und dass es nicht leicht werden würde. Und ohne unseren Leithund Vincent, an dem er sich stark orientiert, hätten wir vermutlich kaum Chancen, ihn an uns zu gewöhnen. Aber wenn wir jetzt sehen, wie glücklich er mit seinem Rudel ist, wie er allmählich aufblüht, dann wissen wir, es war die richtige Entscheidung.